Zugegeben: Pferdezähne sind meine Leidenschaft. Und so ist es für mich natürlich ein ganz besonderes Anliegen, gerade in diesem Gebiet der Tiermedizin Wissen zu sammeln und auch zu teilen. Die Zahnheilkunde beim Pferd ist ein sehr spezielles Thema, dass keineswegs per "One Pager" vermittelt werden kann. Gleichwohl ist es mir wichtig, die Grundlagen kompakt darzustellen und auch auf reale Fälle meiner Arbeit hinzuweisen.
Ich nehme euch mit auf eine Reise durch das Pferdemaul, wo alles begann, was es gibt und was passieren kann. Und vor allem: Auf was der Pferdebesitzer oder Reiter achten muss!
1. Entwicklung der Zahnmedizin beim Pferd
Im Gebiet der Pferdemedizin hat kaum ein weiteres Fachgebiet eine derartig deutliche Veränderung durchlebt wie die Zahnheilkunde. Bereits vor Jahrzehnten wurde erkannt, dass Zahnspitzen zu Verletzungen der Schleimhaut und zu Einschränkungen der Kautätigkeit führen können. Im frühen Zeitalter wurde deshalb bereits mittels manueller Handraspel begonnen, die Spitzen abzuschleifen. Erst im Laufe der Jahre erforschte man die Anatomie und die Mechanik genauer. Wichtig war dabei herauszufinden, wie eine Balance des Pferdegebisses hergestellt werden kann und wie auch kleinste Fehlstellungen hinsichtlich der Gesunderhaltung bewertet werden können.
Die technische Entwicklung von Geräten für die Bearbeitung von Pferdezähn schritt voran und eröffnete auch Personen die Möglichkeit der Behandlung, die keine ausreichenden Kompetenzen nachweisen konnten. So waren Fehlbehandlungen – in Form von Überkorrekturen und Entfernung von zu viel Zahnsubstanz – die zwangsweise Folge.
Anatomische Kenntnisse und entsprechende Ausrüstung sind zwingend erforderlich für eine qualifizierte Korrektur der Pferdezähne.
2. Aufbau des Pferdegebisses
Das Pferdegebiss wird vier Quadranten (= Kieferhälften) aufgeteilt, zwei Oberkiefer- und zwei Unterkieferquadranten. Demnach besteht jeder Quadrant aus 11 Zähnen, drei Schneidezähne (Incisivi), einen Hengstzahn (Caninus), vier vordere Backenzähne (Prämolaren) und drei hintere Backenzähne (Molaren).
Das permanente Pferdegebiss besteht aus bis zu 44 bleibenden Zähnen. Alle Zähne werden mittels einer standardisierten Nomenklatur in Form einer dreistelligen Zahl eindeutig bezeichnet. Anhand eines Beispiel möchte ich das kurz erklären. Der Zahn 107 befindet sich im ersten Quadranten, welcher für die rechte Oberkieferhälfte steht. Dafür steht die erste Zahl "1" der Bezeichnung. Die Ziffern Null und Sieben des Beispiels werden zusammen betrachtet und geben die Stelle des Zahnes von der Mitte nach außen (backenwärts) gezählt.
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3. Milchzahndurchbruch und Wechsel
Das Milchgebiss der Pferde besitzt drei Milchschneidezähne und Milchzahnvorläufer des zweiten, dritten und vierten Prämolaren. Zudem kann es bis zu vier Canini haben. Demnach ergeben sich maximal 28 Milchzähne im juvenilen Gebiss.
In der nebenstehenden Tabelle werden die Zeitpunkte der Milchzahnwechsel und der Durchbruch bleibender Zähne aufgelistet:
4. Zahnstatus Untersuchung- warum die regelmäßige Kontrolle sinnvoll ist
Generell unterliegt ein Pferdegebiss zeitlebens einer dynamischen Veränderung. Deshalb empfiehlt sich eine Zahnstatus Untersuchung im Jährlichen Abstand.
Eine Kontrolluntersuchung in kürzeren Abständen ist bei jungen Pferden im Alter von eineinhalb bis fünf Jahren anzuraten, da sie 24 Milchzähne wechseln, die selbst bei physiologischem Verlauf eine deutliche Umstrukturierung der Maulhöhle mit sich bringen. Störungen im Zahndurchbruch bzw. Zahnwechsel sollten frühzeitig erkannt und therapiert werden, sodass beim Vorliegen von pathologischen Befunden den Pferden schnell geholfen werden kann.
5. Symptomatik bei Zahnerkrankungen- wann ist ein Tierarzt zu Rate zu ziehen
Beim Auftreten nachfolgender Symptomatik sollte auf jeden Fall ein Fachmann das Pferdegebiss zeitnah untersuchen. Jedes Pferd kann durchaus unterschiedliche Reaktionen auf Zahnerkrankungen und damit verbundenen Schmerzen zeigen, deswegen ist neben aufmerksamem Beobachten des Besitzers auch der regelmäßige fachkundige Blick ins Maul empfohlen.
- Rittigkeitsprobleme
- verändertes Kauverhalten
- Heuwickel ausspucken
- unangenehmer Mundgeruch
- Nasenausfluss
- Durchfall/ Kotwasser
- Abmagerung
- Mauligkeit; Kopf schütteln
- Verspannungen
- Schwellungen am Kiefer
- Fisteln (Wundkanal mit Sekretaustritt)
6.Ausgewählte sehr häufige Zahnbefunde
6.1 Wolfszähne
Die kleinen, rudimentären Zähne vor den ersten Backenzähnen werden als Wolfszähne bezeichnet. Sie kommen nicht bei jedem Pferd vor, aber ihr Vorhandensein sollte bei jedem Pferd, spätestens beim Angewöhnen an ein Trensengebiss, überprüft werden. Diese Zähne können sichtbar in der Maulhöhle angelegt sein, aber auch verborgen unter der Schleimhaut verbleiben. Sollten die Wolfszähne schmerzhafte Prozesse verursachen oder Entzündungen auslösen oder zu Rittigkeitsproblemen führen, ist ihre Extraktion angeraten.
Auf dem Bild links ist der zu sehende Wolfszahn mit dem roten Pfeil gekennzeichnet. Es handelt sich dabei um den 205. Es ist also der erste Backenzahn auf der linken Seite im Oberkiefer. Dieses Pferd wurde im Rahmen seiner Ausbildung mit Trensengebiss geritten. Der Besitzer stellte dabei vermehrt folgende Beobachtungen fest: Kopf schütteln, fehlende Leistungsbereitschaft, vermehrtes Zungenspiel. Die Befunderhebung durch mich ergab u.a. die Feststellung, dass der Wolfszahn 205 deutliche Abnutzungsspuren aufzeigt und die umliegende Schleimhaut entzündet war. Der Zahn wurde von mir am sediertem und stehendem Pferd an seinem Heimatstall extrahiert. Bereits sieben Tage nach diesem Eingriff konnte das Pferd symptomfrei geritten werden.
6.2 Hengstzähne
Hengstzähne oder auch Canini genannt befinden sich zwischen den Schneide- und Backenzähnen im vorderen Bereich der Lade. Nicht nur Hengste und Wallache können bis zu vier Hengstzähne haben, sie sind auch bei Stuten zu finden.
Lange oder scharfkantige Canini müssen abgerundet werden. Zudem ist das Entfernen von Zahnstein als selbstverständliche Notwendigkeit durchzuführen, da ansonsten Entzündungen am Zahn umgebenden Zahnfleisch die Folge sind.
Auf dem Bild ist ein Unterkiefer
Hengstzahn (104) mit deutlicher Zahnsteinanlagerung zu sehen. Dieser Zahnstein wurde bei der Behandlung u.a. entfernt und die scharfen Kanten des Hengstzahns wurden abgerundet.
6.3 Schneidezähne
Dieses Röntgenbild (li) zeigt unterschiedlich stark pathologisch veränderte und an EOTRH erkrankte Oberkiefer Schneidezähne.
EOTRH steht für Equine Odontoclastic Tooth - Resorption and Hypercementosis.Dabei kommt es sowohl zu abbauenden als auch zubildenden Hyperzementosen.
Auf dem Foto (re) sieht man den extrahierten Zahn 103 und 102 dieses Pferdes. Diese unheimlich knollige Zement Zubildung im Wurzelbereich des Zahns 102 ist nicht nur röntgenologisch sehr deutlich darstellbar, auch der Zahn zeigt ein massives Ausmaß dieser Erkrankung. Beide Zähne wurden von mir am stehenden, sedierten Pferd am Heimatstall extrahiert. Mehr Informationen und Detailwissen über diese Erkrankung finden Sie in meinem Blogbeitrag #06 - EOTRH.
6.4 Backenzähne
Die Pferdezähne besitzen sehr lange Wurzeln und schieben jährlich 1-3 mm aus dem Zahnfach nach. Gleichzeitig erfolgt ein Abrieb durch gegenüberliegende Zähne und Futtermittel, der je nach Art der Fütterung (Futtermittel, Fressintervalle, Art und Weise die Futtermittel anzubieten) variiert. Bei strukturärmeren Futtermitteln kauen die Pferde mit einem geringeren Kauausschlag und nutzen die gesamte Reibefläche der Zähne nicht. In Folge von unzureichender oder ungleichmäßiger Abnutzung bilden sich scharfe Zahnspitzen.
Scharfe Zahnspitzen und Kanten
Diese bilden sich vorrangig an den Oberkiefer Backenzähnen außen Richtung Backe (=bukkal) und an den Unterkiefer Backenzähnen innen Richtung Zunge (=lingual), die neben Verletzungen der
Maulschleimhaut und Zunge auch Schmerzen verursachen.
Auf dem Foto sieht man den Unterschied zwischen dem rechten Oberkieferquadranten unbehandelt und dem linken Oberkieferquandranten nach Behandlung.
7.Impressionen aus meiner täglichen Zahnpraxis
Bitte bedenken Sie, Zahnschmerzen zeigen die Pferde nicht so offensichtlich wie so manch andere Erkrankungen. Die Pferde ertragen ihr Leid still und die Auswirkungen von Zahnproblemen sollten nicht unterschätzt werden.
Bitte lassen sie die Zähne ihrer Pferde untersuchen und behandeln bevor sie große Probleme verursachen.
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Nicol (Montag, 03 Juni 2024 17:25)
Vielen Dank für die Bilder und Erleuterungen. Ich fühle mich nun viel eher in der Lage einiges zu beurteilen. Pferdemenschen müssen sich unbedingt mehr damit beschäftigen. Mein Pferd wird halbjährlich von einen Zahndentist behandelt.